Aus Kapitel 13 «Gummibärchen»
Eigentlich war ich die ganze Zeit bei Bewusstsein. Glaubte ich zumindest. Mir wurde nur ständig schwarz vor Augen und mir war unglaublich schwindelig und schlecht. Strike redete mir gut zu, streichelte mir über die Stirn und über mein Haar.
Irgendwann gab er mir etwas Süßes zum Lutschen. Nach einem Moment merkte ich, dass es Gummibärchen waren. Aber all das nahm ich nur durch eine Art Nebel wahr. Als wäre es weit entfernt oder nur ein Traum.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis ich meine Umgebung wieder richtig erkennen konnte. Ich befand mich in einem karg eingerichteten Zimmer mit grauen, fleckigen Wänden. Keine Tapete. Lediglich klebten hier und da ein paar alte Fetzen mit unterschiedlichen Mustern. Ich lag auf einer dünnen Matratze. Kein Bett, nur eine Matratze. Ansonsten gab es in diesem Raum noch einen Tisch mit drei Stühlen und einen Papierkorb. Neben mir hingen ein paar Poster. Wahrscheinlich wollte man mit ihnen irgendetwas verdecken. Unter einem der Plakate waren seltsame Flecken zu erkennen, die links und rechts herauslugten. Ich wollte ehrlich gesagt gar nicht genau wissen, um was es sich da handelte.
«Hey Kleine, geht’s wieder?» Strike saß neben mir auf dem Boden und schaute besorgt auf mich herab. Er schien wieder vollkommen klar zu sein. Zumindest sahen seine Pupillen wieder normal aus.
«Wo sind wir?» Ich versuchte mich aufzusetzen und beließ es dann erst mal bei dem Versuch. Mir schwirrte der Kopf und es bildete sich sofort wieder kalter Schweiß auf meiner Stirn.
Er reichte mir eine weitere Handvoll Gummibärchen und aß auch selbst ein paar davon.
Ich schüttelte zaghaft den Kopf, da ich mir noch nicht sicher war, was ich von dem flauen Gefühl in meinem Magen halten sollte.
«Glaub mir, iss! Deinem Kreislauf wird das guttun.»
Ich beschloss, ihm zu vertrauen und griff zu. Auch das Glas mit kühlem Wasser nahm ich dankend an. Nachdem ich ein paar Schlucke getrunken hatte, nahm er es mir wieder ab und stellte es auf den Boden. Dann fischte er ein einzelnes rotes Gummibärchen aus dem bunten Haufen.
«Das ist die Wohnung von einem Kumpel. Der ist für einige Tage bei seiner Freundin untergekommen. Ich darf in der Zeit dann immer hier pennen. Wie fühlst du dich?»
«Ich weiß es nicht.» Ich fuhr mir mit meinen Händen über die Augen und erinnerte mich erst dann wieder daran, dass ich ja geschminkt war. «Verdammt, ich sehe bestimmt wie ein Pandabär aus»
«So schlimm ist es nicht» Strike wischte mir mit seinem Daumen unter den Augen entlang und brachte so wohl das Gröbste wieder in Ordnung. Irgendwie war das extrem tröstlich.
«Ich weiß gar nicht, was passiert ist», gab ich zu. «Das kam alles so plötzlich. Sowas hatte ich noch nie. Ich habe Tequila mit Bibi getrunken und dann … dann hat mir so ein Kerl ein Getränk ausgegeben», erinnerte ich mich langsam wieder.
«Was denn für ein Kerl?» Strikes Augenbrauen schoben sich zusammen und verliehen ihm einem misstrauischen Ausdruck. «Keine Ahnung. So ein Muskelprotz im Karohemd. Ich kannte den nicht. Der hat mich einfach so eingeladen, und danach bin ich direkt in den Elektro-Raum und hab da dich getroffen.»
«Getränke von Fremden annehmen … sonst geht’s dir aber gut, ja? Das kannst du echt nicht machen!»
«Ich wusste ja nicht, dass … Ich meine, warum macht man denn sowas? Ich dachte, das gibt`s nur im Film.»
«Mädel, wo lebst du eigentlich? Es gibt einen Haufen kranker Kerle, die dir wer weiß was unterjubeln würden, nur um dich ins Bett zu kriegen. Oder in die nächste dunkle Ecke!»
«Ich hab das Zeug doch nicht freiwillig genommen!», verteidigte ich mich lauter als beabsichtigt. Ich richtete mich schwerfällig auf, weil ich es nun gar nicht mehr so angenehm empfand, dass er auf mich herabblickte. Dafür war ich zu sauer und eingeschnappt. Das Schwindelgefühl, das gleich wieder über mich kam, versuchte ich so gut es möglich war zu ignorieren. Ich setzte mich in den Schneidersitz, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte böse vor mich hin.
Ich konnte doch wirklich nichts dafür! Okay, ich war vielleicht ein wenig leichtgläubig gewesen, aber warum musste ich mir jetzt eine Standpauke anhören? Und das ausgerechnet von ihm! Er war es doch, der sich andauernd irgendwelches Zeug reinschmiss!
«Weißt du», begann ich, «Es ist ziemlich scheinheilig, mich deswegen so zu kritisieren. Du warst vorhin so breit, dass du mich erst gar nicht erkannt hast!»
«Sorry, ich hab’s gebraucht», konterte er. Aber anscheinend war es ihm zumindest so unangenehm, dass er mich dabei nicht direkt ansah, sondern die Wand hinter mir musterte. «Du verstehst das nicht.»
Ich griff nach seiner Hand, wie ich es schon zuvor in dem Club getan hatte, und lenkte so seinen Blick wieder auf mich.
«Dann erklär’s mir.»
Er lächelte mich mit traurigen Augen an und strich mir zärtlich durch mein Haar. «Ein anderes Mal.»
Als ich erwachte und meinem Gleichgewichtssinn wieder halbwegs vertraute, versuchte ich aufzustehen. Für einen kurzen Moment wurde mir wieder schwindelig, aber Strike war sofort an meiner Seite und legte mir einen Arm um die Taille. Wäre ich nicht von meinem Kreislauf zu abgelenkt gewesen, hätte ich diese Nähe garantiert genossen.
Im Badezimmer, das ich mir lieber nicht genauer ansah machte ich mich ein wenig frisch. Mit nassen Fingern strich ich einige zottlige Haarsträhnen glatt und entfernte die verunglückten Make-Up Reste. Mehr ging nicht.
Dann machte ich mich auf den Heimweg und Strike bestand darauf, mich nach Hause zu begleiten. Da ich gestern ohne Jacke unterwegs gewesen war, lieh er mir einen seiner Pullis. Wenig elegant, aber es erfüllte seinen Zweck.
Die frische, kühle Luft tat gut und ich sog sie gierig in meine Lungen. Wir redeten nur das Nötigste und aßen ab und an ein paar süße Gummitierchen. Ich war immer noch müde und hatte zudem Kopfschmerzen. Strike hingegen wirkte tief in Gedanken versunken. Auch jetzt hatte er wieder beide Hände in den Hosentaschen vergraben und machte keine Anstalten, mir einen Schritt entgegenzukommen. Kein Händchenhalten, keine anderen Annäherungsversuche. Ich dachte wirklich, wir wären uns mittlerweile vertrauter.
Vor der Haustür kramte ich in meiner Handtasche nach meinem Haustürschlüssel.
Strike machte mit einem distanzierten Lächeln auf den Lippen Anstalten, sich zu verabschieden. «Dann erhol dich mal gut, Kleine.»
«Strike, warte mal.» Ich ging die zwei Stufen vor unserem Hauseingang hinunter. «Danke, also für alles. Dass du mir geholfen und mich begleitet hast.»
«Ist doch klar.» Er zuckte mit den Achseln und wollte sich umdrehen, um zu gehen.
«Strike?»
Er wandte sich wieder mir zu und ich rannte ihm die wenigen Schritte entgegen und küsste ihn. Einfach so. Ganz plötzlich. Eigentlich hatte sich mein Körper von ganz allein bewegt, bevor ich mir darüber im Klaren war, was ich da vorhatte.
Erst wirkte er etwas überrumpelt und stolperte mit mir zurück, doch er fing sich schnell wieder. Und dann schlang er seine Arme um mich und erwiderte den Kuss.
Und wie er das tat.
Seine linke Hand wanderte nach oben und krallte sich in meine Haare, während sein rechter Arm sich fest um meine Taille schlang. Er musste mir meine Unerfahrenheit anmerken, denn eigentlich hatte ich keine Ahnung, was nun zu tun war. Ich hatte zwar schon mit ein oder zwei Jungs rumgeknutscht, aber nie war die Initiative von mir ausgegangen.
Da ich nicht wusste, was ich mit meinen Händen anstellen sollte, hielt ich mich verzweifelt an seinen Oberarmen fest, um nicht das Gleichgewicht oder gänzlich die Kontrolle über meinen Körper zu verlieren. Denn am liebsten würde ich … keine Ahnung … mich an ihm reiben, ihn riechen, seinen Körper erforschen, mich einfach vollkommen der Lust hingeben. Diese Leidenschaft überraschte mich und raubte mir schier den Atem. So etwas, so viel hatte, ich noch nie empfunden.
Ich öffnete meinen Mund leicht und er ließ sich nicht lange bitten. Seine Zunge fuhr erst zärtlich über meine Unterlippe und begann dann meine zu umkreisen. Genießerisch seufzte ich auf, was für ihn Grund genug war, mich noch fester zu umfassen und an Tempo zuzulegen.
Oh mein Gott, es fühlte sich so gut an. Es gefiel mir. Es gefiel mir so sehr, dass ich der festen Überzeugung war, niemals mehr damit aufhören zu können. Warum musste ich so lange auf diesen Moment warten?
Nach einiger Zeit löste er sich von mir. Ich stieß einen widerwilligen Ton aus, da ich diesen Moment noch nicht enden lassen wollte. Strike hatte mein Gesicht mit beiden Händen umfasst. Mit seinen Daumen strich er mir sacht über die Wangen. Er schaute mir tief in die Augen und dann lächelte er. Ein ehrliches, ein warmes Lächeln, das meinen Magen Purzelbäume schlagen und mein Herz galoppieren ließ.
«Bis bald.» Er gab mir einen schnellen Kuss auf die Stirn, drehte sich dann um und ging. Mit hochgezogenen Schultern, beide Hände wieder in den Hosentaschen vergraben.
Ich sah ihm lange nach, vollkommen paralysiert und aufgedreht. Geflasht von all den Glückshormonen und meinem rasenden Herzen. Ich brauchte definitiv keine Drogen. Er brachte meinen Körper auch so zum Eskalieren.
Ich musste grinsen.
Unser erster Kuss hatte nach Gummibärchen geschmeckt. Ich konnte mir kaum etwas Schöneres vorstellen.
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